Nachrichten
Untreue-Prozess gestartet, oder wenn der Angeklagte im falschen Gerichtssaal sitzt
von
Meiningen – Im Untreue-Prozess gegen einen Rechtsanwalt aus Bad Liebenstein warteten heute Zuschauer, Medienvertreter und die Kammer gespannt auf den Prozessbeginn.
Wie schon Mitte Oktober war das Ergebnis das Gleiche. Kein Angeklagter, kein Verteidiger – Nichts! Nur dieses Mal legte der Angeklagte kein ärztliches Attest vor. Vom Beklagten und seinem Verteidiger keine Spur. Beide erschienen erst gar nicht vor Gericht.
Zwar wurde dass Auto des Beklagten vor dem Gerichtsgebäude gesichtet, aber von ihm selbst fehlte jede Spur. (Auflösung folgt)
Ein Anruf beim Verteidiger brachte „Licht ins Dunkel“. Weder er noch sein Mandant gingen davon aus, dass der Prozess um 9 Uhr beginnen würde. Ein zweites Verfahren, in welchem über das teilweise Berufsverbot gegen den Angeklagten verhandelt werden sollte, war ebenfalls für heute um 15 Uhr angesetzt.
„Zwei voneinander getrennte Verfahren mit unterschiedlichen Aktenzeichen… Wie kann man davon ausgehen, dass beide Verfahren zusammen verhandelt werden?“, mit diesen Worten brachte der vorsitzende Richter seinen Unmut zum Ausdruck, angesichts des erneuten „Nichterscheinens“ des Beklagten verständlich.
Laut Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte in elf Fällen Mandantengelder nicht bzw. verspätet und nur teilweise an seine Mandanten weitergeleitet. Der Vorhalt – gewerbsmäßige Untreue in elf Fällen, insgesamt 375.000 Euro Schaden.
Der Prozess wurde auf 13 Uhr vertagt. Der Verteidiger machte sich umgehend auf seine knapp vierstündige Anfahrt nach Meiningen. Um kurz vor vierzehn Uhr erschienen der Angeklagte und sein Anwalt im Gerichtsgebäude.
Sein Gesicht mit einer Akte verdeckt, begab sich der Beklagte auf seinen Platz im Gerichtsaal. Der Prozess konnte beginnen.
Auf die Frage des Richters zu den Gründen des Fernbleibens entgegnete der Verteidiger: „Wir haben nicht gewusst, dass der Prozess stattfindet.“.
Anklage in elf Punkten – Anklage verlesen
Als Staatsanwältin Kühn die Anklage verliest, ist im Zuschauerraum das ein oder andere Raunen zu hören. Schnell wird ein Muster sichtbar. Zahlungen, welche der Beklagte für seine Mandanten einnahm, wurden zum „Stopfen eigener Löcher“ verwandt. Zahlungen an die Finanzkasse, Zahlung von Gehältern, von Rechnungen und Überweisungen auf sein Privatkonto, so verliest es die Staatsanwältin.
Manchmal zahlte er auch seinen Mandanten Geld aus, offenbar, wenn diese mit weiteren Schritten drohten. Bei den Fällen handelt es sich um Summen von 2.000 – 200.000 €. Zwei Fälle stechen dabei besonders heraus. In einem Fall erstritt der angeklagte Anwalt in einer Erbschaftsangelegenheit 108.000 € für seine Mandantin. Das Geld nutzte er für Zahlungen an die Justizkasse, die Finanzkasse und eine Rückzahlung an Mandanten aus vorherigen Fällen, ein Schneeballsystem. Während der Verlesung der Klageschrift wirkt der Beklagte nahezu teilnahmslos, den Kopf auf seine linke Faust gestützt. Mit der rechten Hand dreht er seinen Kugelschreiber.
Nur ein Bild ihres Hauses – Rentnerin verliert ALLES
Von besonderer Bedeutung für das Verfahren dürfte der Fall einer damals 80jährigen Frau aus Bad Liebenstein sein. Die alleinstehende Frau beauftragte den Angeklagten mit dem Verkauf ihres Hauses. Der Erlös aus dem Verkauf sollte zur Finanzierung ihres Platzes in einer Seniorenwohneinrichtung dienen. Dafür soll sie dem Angeklagten eine Generalvollmacht ausgestellt haben.
Den Erlös aus dem Verkauf des Hauses in Höhe von 172.000 Euro soll der Angeklagte widerrechtlich einbehalten haben. Die alte Dame sah keinen Cent! 151.129,09 € der Verkaufssumme transferierte er auf sein Privatkonto, so die Staatsanwältin.
Doch der scheinbar chronisch klamme Anwalt ging noch weiter. Ohne das Wissen seiner Mandantin löste er deren DEKA-Invest-Depots bei der Wartburg-Sparkasse auf; 16.841,- € landeten so in 13 Einzelüberweisungen auf seinem Konto. Dass gegen den Anwalt zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht schon Strafverfahren eingeleitet waren und die Thüringer Anwaltskammer untätig zu blieben schien, verleiht dem Ganzen nochmals einen besonders bitteren Beigeschmack.
Während die Mandantin nun auf Steuerzahlerkosten in einem Heim in Bad Liebenstein lebt und von ihrer früheren Existenz nicht mehr als ein Bild ihres Hauses besitzt, beschwertete sich der Angeklagte im Verfahren um die Aufhebung seines teilweisen Berufsverbots (keine Annahme von Fremdzahlungen, a.d.R) am späteren Nachmittag über die Stigmatisierung durch die Bezeichnung „Berufsverbot“ durch die Bundesrechtsanwaltkammer auf deren Registerseite im Internet. Damit würden Leute auf der Suche nach einem Rechtsanwalt abgehalten ihn mit ihrem Mandat zu beauftragen, so der Beklagte. Und das wirke sich natürlich auf seine Einkommenssituation aus.
Im Anschluss an die Verlesung der Anklage erhielt der Beklagte Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern, ein formaler Schritt in jedem Verfahren, den ein Anwalt eigentlich kennen müsste. Doch „…auf Grund der Kurzfristigkeit des Termins war es mir nicht möglich, mich mit meinem Mandanten zu beraten“ so der Verteidiger. Ob er „Angaben zur Sache machen werde“ wollte man eigentlich am Wochenende beraten. Man plane eventuell eine „Einlassung zur Sache“…
Damit endete der erste Prozesstag, welcher eigentlich schon in der ersten Jahreshälfte hätte beginnen können und sollen.
Ach ja, da war ja noch die Sache mit dem „falschen“ Gerichtssaal…
In dem Verfahren gegen ihn geht es für den angeklagten Anwalt um alles. Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren, Verlust seiner Anwaltszulassung und seine Insolvenz. Aber anstatt um 9 Uhr als Angeklagter vor der ersten Strafkammer am Meininger Landgericht zu erscheinen, vertrat der Beklagte in seiner Tätigkeit als Anwalt einen Mandanten vor Gericht. Wo? Nur eine Etage höher, im Gerichtssaal A 0208… um 9.20 Uhr…
Am 15.11.23 wird der Prozess fortgesetzt. Der Prozess ist öffentlich. Weitere Termine zur Zeugenanhörung folgen.
Fortsetzung folgt: